Wir leben in einer Zeit der großen Sozialexperimente. Regierungen entwickeln zum Beispiel die Idee, eine Währungsunion mit 340 Mio. Menschen einzuführen. Sie lassen sich von der Hypothese leiten, dass eine Gemeinschaftswährung dafür sorgen könnte, dass die unterschiedlichsten Volkswirtschaften ihre gewachsenen Strukturen aneinander angleichen werden und daraus dauerhafter Frieden entsteht. Doch wenn diese Hypothese durch die Realität widerlegt wird, leiden Millionen Menschen darunter.
Regierungen stellen auch die Theorie auf, dass durch die Aufnahme von Schulden und die gezielte Verteilung der Gelder nachhaltiger Wohlstand und „soziale Gerechtigkeit“ unter Millionen von Menschen hergestellt werden können.
Die Notenbanken weltweit experimentieren als staatliche Institutionen mit einer nie dagewesenen Geldpolitik. Sie versuchen herauszufinden, ob nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch infolge der Finanzmarktkrise durch das Drucken von Geld aus dem Nichts neues Wirtschaftswachstum und damit Wohlstand für alle entsteht. Wird die Hypothese widerlegt, sind weltweit Milliarden Menschen davon existentiell betroffen.
Damit dieses aktuelle Notenbank-Experiment nicht scheitert, haben sich Regierungen weltweit darauf verständigt, mit dem Bargeldverbot zu experimentieren. Sie folgen der Hypothese, dass dadurch Negativzinsen, der erhoffte Motor für zukünftiges Wirtschaftswachstum, durchgesetzt werden können. Die indische Regierung geht mit ihrem Feldversuch an einer 1,3 Milliarden Menschen umfassenden Volkswirtschaft voran. Die ersten negativen Auswirkungen auf das Leben der Menschen sind allerdings bereits zu beobachten.
Lebenschancen durch groß angelegte Sozialexperimente?
Allen diese Experimente haben etwas gemeinsam: Sie werden durchgeführt, um die Lebenschancen der Menschen zu verbessern. Und tatsächlich: Die Einführung des Euro etwa hat dafür gesorgt, dass in den Südländern die Zinsen gefallen sind und ein kreditfinanzierter Wirtschaftsboom einsetzte, der die konkreten Lebenschancen sehr vieler Menschen, etwa bessere Bildung und medizinische Versorgung, bessere Infrastruktur usw., erhöht hat. Doch der Ausbruch der Finanzmarktkrise hat schonungslos offengelegt, dass die künstlich gesenkten Zinsen den tatsächlichen Risiken der verschiedenen Volkswirtschaften nicht gerecht wurden und der Boom nicht nachhaltig ist. Das Experiment Währungsunion drohte zu scheitern.
In den empirischen Wissenschaften sind Experimente, die eine Anfangsvermutung widerlegen, sehr willkommen, denn nur durch das Prinzip „Versuch und Irrtum“ ist echter Erkenntnisfortschritt möglich. Von Regierungen groß angelegte Sozialexperimente aber dürfen nicht scheitern, weil sonst Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden und ihre Lebenschancen wieder sinken. Je mehr die Regierungen versuchen, das Scheitern der Experimente zu verhindern, desto mehr nehmen die Lebensrisiken der Menschen zu.
Du musst selbst mit Deinem Leben experimentieren
Was ist die liberale Alternative? Der Verzicht auf Experimente, die immer riskant sind, und damit auf Fortschritt?
Liberale Politik setzt das Individuum in den Stand, sich so frei bewegen zu können, dass es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Informationen, die vielleicht nur von ihm selbst als Lebenschance erkannt werden können, zu experimentieren, um seine persönlichen Lebensziele zu erreichen. Nur so führen auch gescheiterte persönliche Experimente zu Fortschritt, ohne dass ganze Volkswirtschaften in den Abgrund gerissen werden. Liberale Politik räumt die Hürden, die durch bevormundende Politik errichtet worden sind, aus dem Weg, um die höchstmögliche Bewegungsfreiheit der Individuen zu sichern. Der Rechtsstaat sorgt dafür, dass bei diesen millionenfachen individuellen Experimenten die Freiheit des anderen so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Nur so geben sich Individuen auf der Suche nach dem persönlichen Lebensglück gegenseitig Lebenschancen. Benötigen sie dazu größere Institutionen, innerhalb deren Rahmen sie größere Versuche unternehmen, müssen auch diese – privaten oder staatlichen – Institutionen so konstruiert sein, dass sie jederzeit scheitern oder modifiziert werden können. Nur so ist echter Fortschritt möglich. Und nur so sind wir alle in der Lage, uns gegenseitig auf freiwilliger, friedlicher und freiheitlicher Basis gegenseitig Lebenschancen zu ermöglichen und Risiken zu beherrschen. Mehr Chancen durch mehr Freiheit!
Ihr Thomas Rausch
stv. Landesvorsitzender Liberaler Mittelstand NRW
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