Schlecht für Deutschland – schlecht fürs Klima! Gedanken zum Atomausstieg

Seit Samstag, 15. April 2023, sind die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Darunter auch Neckarwestheim 2 (großes Foto), ein Kraftwerk, das die vergangenen Jahrzehnte und in den Krisenmonaten zuverlässig Baden-Württemberg mit Strom versorgte und mithalf, dass gerade auch Mittelstandsbetriebe auf eine bezahlbare Versorgungssicherheit bauen konnten.

LIM-Landesschatzmeister Henning Wagner mit Zahlen und einer Bewertung der Lage:

Die Atomkraft lieferte in Deutschland von 1961 bis 2023 über 5.600 Mrd. kWh Strom. Das ist zehnmal der aktuelle jährliche Strombedarf. Wir geben damit ohne jede Not eine saubere, sichere, zukunftsfähige und effiziente Energie auf, die im Kampf gegen die Erderwärmung viel helfen könnte.

Die deutsche Atomforschung war technologisch an der Weltspitze. Im letzten Jahrzehnt wurde diese gesamte Expertise beerdigt. Die drei bekannten weltweiten Atomunfälle, Three-Mile-Island (USA), Tschernobyl und Fukushima hätten bei den deutschen Atomkraftwerken konstruktionsbedingt nicht passieren können. Doch auch trotz dieser Vorfälle ist die Atomkraft global mit die sicherste Art der Energiegewinnung.

Gemäß der international renommierten Statistik-Plattform „Our world in data“ entfallen bisher weltweit auf die Atomkraft je 1 Mrd. kWh Strom 0,03 Tote. Photovoltaik und Windkraft liegen mit 0,02 und 0,04 Toten eng daneben. Erdgas liegt bei 2,4 Toten je 1 Mrd. kWh, Öl und Kohle dagegen sind mit 18,4 bzw. 24,6 Toten je 1 Mrd. kWh viel gefährlicher.

Dubiose Rolle des Umweltbundesamts

Die hohe Gefahr von Kohle, Öl und Gas liegt vor allem an der Luftverschmutzung. Statistisch kostete der stufenweise Atomausstieg und Ersatz durch Kohle in Deutschland seit 2011 jedes Jahr über 1000 Tote. Man kann diese Art der Betrachtung ablehnen. Interessant ist aber, dass das von einem Grünen geführte Umweltbundesamt diese Sichtweise bei der Diskussion über Stickoxid verwendete, sie aber beim Atomausstieg verschweigt. Da wird vordergründig moralisch argumentiert, aber real komplett parteitaktisch agiert.

Das frühere Kernkraft Philippsburg (Landkreis Karlsruhe). Foto: EnBW

Auch im Hinblick auf den CO2-Ausstoß schneidet die Kernkraft hervorragend ab. Inkl. Bau und über die Laufzeit stößt sie (Quelle: Our world in data) je Mio. KWh 3 to CO2 aus. Da liegen sogar Photovoltaik und Windkraft mit 5 t bzw. 4 t leicht darüber. Ganz schlecht schneiden Gas, Öl und Kohle ab, mit 490, 720 und 820 t CO2. Nachteilig bei Atomkraftwerken ist in der Tat der Atommüll. Allerdings ist es internationaler Konsens, dass Atommüll-Endlager beherrschbar sind. Wenn sie in Betrieb genommen werden und gefüllt sind, können sie so verschlossen werden, dass sie nie wieder geöffnet werden müssen und niemanden gefährden können.

Atommüll-Endlager werden in Deutschland politisch verhindert

Finnland nimmt 2025 das erste Endlager in Betrieb, auch die Schweiz ist in konkreter Planung. Dass Deutschland für seinen Atommüll – ein Würfel mit 30 Meter Kantenlänge – auch in den nächsten Jahren kein Endlager hat, liegt nicht daran, dass es technisch nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr wurde es durch politischen Widerstand verhindert. Die, die es verhinderten, argumentieren jetzt, dass in Deutschland kein Endlager betriebsbereit ist. Das nennt man Doppelmoral. Im übrigen gab es in unseren und den anderen europäischen Atommüll-Zwischenlagern seit über 50 Jahren keinen ernsten Störfall. Warum sollte dann eine Gefahr in einem tief unter der Erde liegenden, hermetisch abgeschlossenen Endlager bestehen?

Atomausstieg = mehr CO2-Ausstoss in den kommenden Jahren

Die Erneuerbaren Energien haben bei uns Einspeisevorrang und werden also bei jedem Szenario des Energieeinsatzes als erstes genutzt; der Rest wird fossil bereitgestellt. Die logische Folge ist, dass die Kernkraft in Deutschland ganz überwiegend durch Kohle, Öl oder Gas ersetzt wird. Daher wird der Verzicht auf die letzten 3 + 3 Atomkraftwerke bewirken, dass Deutschland bis in die 2040er Jahre jedes Jahr 60 Mio t. CO2 zusätzlich ausstoßen wird. Überschlägig kumuliert sind das rund 60*20 = 1.200 Mio. t CO2. Dafür sind Habeck, Trittin und Co. bei Grünen und SPD verantwortlich. Dies belegt ihre Grundposition: der Atomausstieg ist das Wichtigste, alles andere – auch der Kampf gegen die Erderwärmung – ist zweitrangig.

Dass die Alt-Grünen wie Trittin ihr „Lebenswerk“ nicht in Zweifel ziehen wollen, ist sachlich falsch, aber immerhin psychologisch nachvollziehbar. Unverständlich, dass die jungen Grünen sich diese Position zu eigen machen. Fazit: die Grünen schaden dem Klimaschutz massiv.

33 Länder nutzen Atomkraft weiter und bauen teils neue Anlagen

Mit dem Atomausstieg steht Deutschland allein in der Welt. Während sonst in Politik und Historie deutsche Sonderwege abgelehnt werden, ist ein Alleingang für die Atomgegner in diesem Fall völlig in Ordnung. Laut Wikipedia (und neueren Quellen) nutzen zur Zeit 33 Länder Atomkraft. Von diesen haben 16 neue Kraftwerke im Bau, 12 haben neue Kraftwerke in Planung. Von den Ländern, die bislang keine Atomkraft nutzen, haben 3 Atomkraftwerke im Bau und 6 in Planung.

Laut Wikipedia planen 5 Länder den Atomausstieg: Spanien, Belgien, Schweiz, Deutschland und Taiwan. Von diesen haben sich m. W. die Schweiz und Belgien zur Verlängerung der Laufzeiten entschlossen. Das heißt, weltweit erlebt die Atomkraft einen Ausbau bzw. eine Renaissance, nur Deutschland verhält sich da mit seinem Atomausstieg als Geisterfahrer.

Zweidrittel der Bürger und Unternehmer wollen, dass die AKWs weiter laufen

Und der Atomausstieg wird gegen den Willen der Bürger umgesetzt: Umfragen zeigen, dass nur ein Viertel der Deutschen den jetzigen Atomausstieg für richtig hält, fast zwei Drittel wollen die Atomkraftwerke weiter laufen lassen, davon fast die Hälfte ohne Laufzeitbegrenzung.
Man muss sich fragen, warum im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern die Ablehnung der Atomkraft in Deutschland möglich wurde. Emotionale Technikskepsis war schon hierzulande schon immer verbreitet. Manche Beobachter ziehen die Linie zum deutschen Idealismus, der Romantik und dem Wunsch zum einfachen Leben auf dem Lande. Rousseau lässt grüßen.

Heinrich Heine dichtete schon vor 170 Jahren: „Franzosen und Russen gehört das Land – Das Meer gehört den Briten Wir aber besitzen im Luftreich des Traums – Die Herrschaft unbestritten.“

Und wenn Gefühle und Emotionen überwiegen, werden Fakten zweitrangig. Etliche Atomkraftgegner fallen regelmäßig auf durch Aussagen, die nur Nebelwolken sind: „Führt die Abschaltung der Atomkraftwerke und ihr Ersatz durch Kohle zu höherem CO2-Ausstoß? – Wir müssen einfach die Erneuerbaren schneller ausbauen“. Ihr Auftreten hat etwas Abgehobenes, man fühlt sich an religiöse Fundamentalisten erinnert. Für andere Atomkraftgegner geht es um den Kampf gegen die Marktwirtschaft, also „Kapitalismus“, Wachstum und Wohlstand, unter dem Stichwort: „System Change not Climate Change“, wie man es bei Fridays For Future und vielen anderen hören kann.

Rückbau: leerer Maschinenraum im früheren AKW Obrigheim. Foto: EnBW/Uli Deck

Wie sauber war die Luft in der DDR?

Verdrängt wird, wie die liberale und marktwirtschaftliche Offene Gesellschaft erfolgreich mit Konflikten und negativen Entwicklungen umgehen und sich anpassen kann und wie desaströs die Umweltbilanz sozialistischer Staaten war, ob DDR oder Sowjetunion. Die spezielle deutsche Variante der Energiepolitik inkl. Ablehnung der Atomkraft wurde von der rot-grünen Koalition 1998 geschaffen. Während Schröder etwa bei Hartz4 eine eigene Linie verfocht, ließ er den Grünen und den grünen Sozialdemokraten bei der Energiewende freien Raum.

Der Atomausstieg wurde beschlossen, manche freuten sich für die – seit langem subventionsabhängige – Kohle, und Schröder hatte vielleicht schon seinen Vertrag mit Gazprom in der Tasche. Seine Nachfolgerin Angela Merkel und ihre CDU/CSU praktizierten den Grundsatz gemacht, langfristige sinnvolle Weichenstellungen zu ignorieren gegenüber dem kurzfristigen taktischen Erwägungen, und sie übernahmen diese deutsche rot-grüne Variante der Energiepolitik.

Das schwarz-gelbe Intermezzo der Verlängerung der Atomlaufzeiten opferten Merkel und Co. – auch die FDP – 2011 der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Anschließend verschafften die Mittelinks-Wendung der Union und die Etablierung der AfD den Grünen und der SPD bis heute in jeder Koalition ein Veto gegen jede grundsätzliche Veränderung der Energiepolitik.

AKW Neckarwestheim 2. Seit 15. April 2023 nicht mehr in Betrieb. Foto: EnBW/ Daniel Meier-Gerber

Gegenstimmen Fehlanzeige. Medien und Umweltverbände jubeln!

Doch ist die Bewegung gegen die Atomkraft nicht ohne die Medien zu erklären. Ob sensationsgierige Magazine wie Spiegel und Stern, ob links-grün gewendete Zeitungen wie die ZEIT und die Süddeutsche Zeitung – und hier im Raum die Stuttgarter Zeitung – oder vor allem der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk, alle stießen ins Horn der Atomkraftgegner. Gegenstimmen gingen unter. Umweltverbände wie Greenpeace, NABU, BUND etc. raunten losgelöst von Fakten von „schlimmen Gefahren“, jede Technik wurde als „umstritten“ tituliert und dadurch stigmatisiert. Die meisten Politiker knickten ein und meinten wohl, warum gerade sie sich hier dem Feuer der öffentlichen Debatte aussetzen sollten. Entsprechend wurde die öffentliche Diskussion gestaltet.

„Letzte Generation“ kriegt große Medienberichterstattung

Im Fernsehen waren in Talkshows, Nachrichten und Magazinen die Auswahl der Themen und die Art der Darstellung zumeist sehr einseitig. Eine seriöse Atomkraft-Befürworterin wie Anna Wendland wurde bislang zu keiner der großen Talkshows eingeladen. Wer wie die „Letzte Generation“ Mitbürger schikaniert und Straßen blockiert, bekommt dagegen postwendend die Prime-time-Einladung der Öffentlich-Rechtlichen. Auch über die Frage, ob wir mit unserem spezifischem Konzept einer Energiepolitik richtig liegen, wird dort selten grundsätzlich thematisiert. Die Fakten belegen, dass Deutschland viel mehr Geld ausgibt und die Bevölkerung höhere Strompreise als in anderen Ländern zahlen muss, dass wir aber zugleich pro Kopf einen um 50% höheren CO2-Ausstoß haben als etwa Frankreich. Das ist eindeutig eine desaströse Bilanz. Doch es wird nur im System diskutiert, aber nicht über das System.

Deutschland, quo vadis?

Ich werde es aus naheliegenden Gründen nicht erleben, aber ich bin gewiss, dass man in 100 Jahren auf Photovoltaik und Windkraft als Übergangs- oder Nischentechnologie zurückblicken wird. Kernfusionsreaktoren werden ohne Risiken und ohne gefährlichen Müll unbegrenzt Energie liefern. Wir müssen die Zeit bis dahin überstehen, ohne die Welt, unseren Wohlstand und unsere Demokratie zu ruinieren. Ich hoffe, dass Deutschland keinen deutlich nachteiligeren Weg gehen wird als alle unsere Nachbarstaaten.

Der Autor: Henning Wagner ist Unternehmensberater und Schatzmeister im LIM Baden-Württemberg. Er lebt im Landkreis Ludwigsburg.

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