„Perspektiven der deutsch-ungarischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“
Text und Bilder: Christian Grosse | Der Liberale Mittelstand Berlin zu Gast in der Botschaft von Ungarn zur Diskussion: „Perspektiven der deutsch-ungarischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“.
Im Rahmen der Veranstaltung, die von „Dialog Ungarn“ und der ungarischen Botschaft organisiert wurde, wurde der Frage nachgegangen, was den Standort Ungarn so attraktiv macht, welche Möglichkeiten für die Zulieferindustrie, Investitionen im Städtebau und Kooperationen zwischen deutschen und ungarischen Unternehmen bestehen. Dies wurde am Beispiel der seit Jahren prosperierenden Stadt Debrecen gemeinsam diskutiert.
Als Gäste waren anwesend S.E. Dr. Péter Györkös – Botschafter von Ungarn, Dr. László Papp – Bürgermeister von Debrecen, Hans-Peter Kemser- Leiter des BMW Group Werks Debrecen, MdB/CDU Klaus-Peter Willisch – Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie im Deutschen Bundestag, Vorsitzender des Verein zur Förderung der Wettbewerbswirtschaft e.V., Tino Barth – Vor- standsvorsitzender Internationaler Wirtschaftsrat e.V. und Boldiszar Nagy – CSO Uniberg AG.
Die ostungarische Stadt Debrecen hat in den vergangenen Jahren mit großen Ansiedlungserfolgen von sich Reden gemacht. Insbesondere ist der Bau des modernsten BMW-Werks, der iFACTORY, zur Umsetzung der E- Mobilitäts-
strategie des Unternehmens, bei der circa 1000 neue Arbeitsplätze entstehen, sowie die Ankündigung des Batteriebauers CATL zu nennen. Der weltgrößte Hersteller von Batteriezellen für E-Autos, Contemporary Amperex Technology Co., Limited (CATL) aus China, baut in Debrecen eine neue Batteriefabrik. Im östlichen Teil des Landes sollen Batterien für die nächste Generation der elektrischen Fahrzeuge von Mercedes-Benz entstehen.
In der zweitgrößten Stadt Ungarns, mit 200 000 Einwohnern, sind bereits unzählige internationale Firmen präsent. Beispielsweise Schaeffler (Autoteile), Teva (Generika), Krones (Abfüllanlagen), Bürkle (Maschinenbau), ThyssenKrupp (Stahl) sowie Neopac (Tuben) aus Thun. Demnächst werden auch Werke der Zürcher Firma Sensirion (Sensoren) und des chinesischen Batterieherstellers Semcorp in Betrieb gehen. Wirtschaftsmedien haben diese Ansiedlungserfolge als „Party in der Puszta“ und den Ausbau der Stadt zur „Hochburg der Elektromobilität“ bezeichnet.
Warum ist Ungarn so erfolgreich in der Anziehung von mittelständischen Unternehmen aus Deutschland?
In seinen Ausführungen wies der Botschafter darauf hin, dass unter anderem der kulturelle Unterschied eine Basis für den Erfolg von Investitionen in Ungarn ist. Das Verhältnis zu Leistung, zur Arbeit, zur Familie, zur Gemeinde und zum Unternehmen, welche tief miteinander verwurzelt sind, bringt eine hohe Identifikation und Leistungsbereitschaft mit sich. Hinzu kommt, dass Ungarn von einer verlängerten Werkbank der deutschen Industrie immer mehr in den Wirtschaftsraum eingebettet wird. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Ungarn betrug in 2022 65 Mrd. Euro. Somit ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Ungarns. Ebenfalls verwies der Botschafter auf das enorme Handelsvolumen der Visegrad-Gruppe, welches mittlerweile mehr als 100 Mrd. Euro beträgt.
Der Bürgermeister von Debrecen hat in seinen Ausführungen auf die Heraus- forderungen hingewiesen, die in einer schnell wachsenden Stadt entstehen. Aber auch darauf verwiesen, welche Anziehungskraft ein Wirtschaftszentrum hat. Das oberste Ziel ist die Bildung und Ausbildung der Jugendlichen, um in einer attraktiven Umgebung beruflich erfolgreich zu sein. Bereits in den unteren Klassen zeigt man den Schülern auf, welche Berufsmöglichkeiten und Perspektiven in einem Unternehmen möglich sind. Die Bildung und die Ausbildung muß in der Stadt so gestaltet werden, dass diese ein Magnet für die jungen Menschen wird. Dazu gehören auch kulturelle Angebote. Weiterhin finden enge Kooperationen mit den Universitäten statt, in denen sich die mittelständische Wirtschaft einbringt. Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, Ihre Angestellten selber auszubilden, es werden Praktika angeboten.
Dabei ist das oberste Ziel Studenten für die vor Ort ansässigen Unternehmen zu gewinnen und an sich zu binden. Aber auch, um rechtzeitig mit attraktiven Angeboten die zukünftigen Arbeitskräfte für die Unternehmen zu begeistern. Die Verstärkung der Kooperationen auf unterschiedlichsten Ebenen hat Debrecen als Wirtschaftsmagnet entstehen lassen. Dies zeigt sich an folgenden Zahlen: während in 2015 7000 Schüler vor Ort waren ist die Zahl in 2022 auf 11.000 Schüler angestiegen. Tendenz steigend. Mit dieser Strategie möchte man auch dem Fachkräftemangel, der in Ungarn ebenfalls vorherrscht, entgegenwirken. Universitäten und Mittelschulen in Ungarn passen die Lehrgänge immer mehr den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Firmen an. Die Ausbildung ist ein Schlüsselfaktor, um im Wettstreit mit anderen Städten zu gewinnen.
Hans-Peter Kemser, Leiter des BMW Group Werks Debrecen, nannte unter anderem folgende Aspekte, die eine Ansiedlung für BMW infrage kommen ließen. Dies beginnt mit der vorhandenen Infrastruktur, die immer weiter ausgeweitet wird. Es entstehen neue Autobahnanschlüsse, Umfahrungsstraßen sowie Bus- und Eisenbahnstationen – auch mit Strukturhilfen der EU, zu den bereits vorhandenen direkten Anbindungen an die Autobahnen. Die Nähe zum Flughafen, die gleiche Zeitzone oder eine hohe Affinität zur Kultur des Autofahrens spielten bei der Ansiedlung von BMW eine wichtige Rolle. Auch das Vorhandensein einer Universität und die damit verbundenen exzellenten Möglichkeiten zukünftige Mitarbeiter zu rekrutieren. Wichtig sind die Möglichkeiten von Kooperationen hinsichtlich der Forschung und Entwicklung. Ein weiterer Aspekt, ist das Thema Vertrauen. In Debrecen kann man sich auf die Menschen verlassen. Dieser Aspekt wurde besonders hervorgehoben.
MdB/CDU Klaus-Peter Willisch führte die hohen Energiekosten auf, die den mittelständischen deutschen Unternehmen die Luft zum Atmen nehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ungarn zahlen aktuell weniger als die Hälfte für Energie als Deutsche. Eine weitere Hürde gegenüber Ungarn ist der enorme Bürokratieaufwand, der in Ungarn zwar auch vorhanden ist. Doch ist Ungarn auf dem schnelleren Weg, und bereits fortschrittlicher im Bereich der Digitalisierung, als Deutschland. Insgesamt verweist der Abgeordnete auf eine falsche Energiepolitik der Bundesregierung.
Tino Barth nannte als Hauptproblem, dass man mittelständische Unternehmer mittlerweile davon überzeugen muss, dass sie im Land bleiben. Die Rahmen- bedingungen müssen verbessert werden. Viele Unternehmer suchen sich neue Märkte, wie beispielsweise Ungarn oder auch Tschechien. Unternehmer vertrauen nicht mehr auf die Politik. Politikverdrossenheit der Unternehmer herrscht vor. Seitens der Politik ist zu wenig Orientierung vorhanden, so, dass der Mittelstand nicht weiß, in welche Richtung es in Deutschland geht. Ein eindeutiges Ja gab es auf die Frage, ob der Mittelstand immer mehr den Weg ins Ausland sucht.
Boldiszar Nagy hat auf eine Digitalisierungsanalyse verwiesen, die kürzlich von der EU erschienen ist. In dieser befindet sich Deutschland mit -176 Punkten noch vor Albanien auf den letzten Plätzen. Ungarn dagegen liegt mit 511 Punkten auf Platz 2. Digitalisierung ist ein Kernthema für erfolgreiche Unternehmen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass mittelständische Unternehmen auch diesen Aspekt für Auslandsinvestitionen berücksichtigen.
Ungarn und Debrecen locken die Firmen darüber hinaus mit großzügigen Subventionen und Steuervergünstigungen. In der EU hängt es teilweise von der ökonomischen Stärke einer Region ab, in welchem Umfang ein Land Firmenansiedlungen finanziell unterstützen darf.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der deutsche Mittelstand vielen Herausforderungen ausgesetzt ist, die es zu meistern gilt. Um international jedoch wettbewerbsfähig zu sein, bedarf es sehr schnell vieler Reformen. Die politischen Rahmenbedingungen müssen dazu gesetzt werden, damit der deutsche Mittelstand nicht auswandert und somit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft kollabiert.